Ex & Neo – Artenvielfalt Tirols
Schmetterlinge aus dem Balkan oder die Gottesanbeterin aus dem Mittelmeergebiet: Tirols Tier- und Pflanzenwelt hat eine lange Migrationsgeschichte. Im neuen Naturkundemuseum im Alpenzoo wird sie derzeit präsentiert.
Bis 31.1.24
bei freiem Eintritt im Ferdinandeum
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Warum ist das Thema Artenvielfalt eigentlich so wichtig?
Peter Huemer, Leiter der Naturwissenschaftlichen Sammlung: Artenvielfalt betrifft uns eigentlich permanent, vom Essen bis in den Schlaf. Ihr Wert wird aber unterschiedlich festgelegt. Die Kartoffel ist als Nutzpflanze aus rein monetärer Sicht zum Beispiel wertvoller als andere Pflanzen. Es gibt aber auch den Selbstwert von Organismen, von Tieren, Pflanzen oder Pilzen. Ein Landschaftsraum hat wiederum einen psychologischen Wert. Wer in Tirol in die Natur hinausgeht, kennt den positiven Wert für unsere Psyche, der in Geld schwer messbar wäre.
Wenn ich mich im romantischen Mischwald wohler fühle als im Wirtschaftswald, gehört das also auch zu Biodiversität?
Huemer: Natürlich. Einen Wirtschaftswald kann ich rein ökonomisch sehen, dann bringt er viel Geld. Wenn ich ihn aus anderen Aspekten betrachte, stelle ich fest, dass er für unsere Psyche und für die Artenvielfalt nicht gut ist. Es gibt dort wenig andere Lebewesen, das Gleichgewicht von Fressfeinden und -freunden gerät aus der Ordnung. Man sieht das etwa bei den Borkenkäfer-Plagen: In einer Monokultur ist die Gefahr wesentlich größer, dass sich diese Käfer plötzlich ganz ungehindert vermehren. In einem natürlichen Gefüge würde das so nicht stattfinden. Im Endeffekt ist es nichts anderes als beim Coronavirus: Wenn einzelne Menschen wenig Kontakt miteinander hätten, würde das Virus schwer überspringen. So würde das auch in einem Wald gut funktionieren. Je enger wir zusammenrücken, je unnatürlicher es wird, desto kritischer.
„Faszinierende Arten wie zum Beispiel die Gottesanbeterin wandern aus wärmeren Regionen bei uns ein.“
Viele Arten aus dem Süden wandern bei uns ein, weil es hier immer wärmer wird. Ist das für die Natur in Ordnung?
Huemer: Solche Einwanderungen sind ganz natürlich. Was der Mensch aber beeinflusst, ist die Einschleppung. Die führt zu einem starken Ungleichgewicht. Wenn wir einen Organismus aus einem anderen Kontinent zu uns holen, ob bewusst oder unbewusst, bringen wir nicht automatisch seine Feinde und Freunde mit. Wir wissen nicht, wie er sich hier verhält. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Es kann aber auch ganz harmlos ausgehen, wie zum Beispiel bei der Kornblume, die mit dem Getreideanbau vor siebentausend Jahren eingeschleppt wurde und schön anzusehen ist, oder bei Kartoffel und Mais, die für uns nützlich sind.
Kartoffel und Mais wurden als Nutzpflanzen eingeschleppt, breiten sich aber nicht selbst aus. Warum eigentlich nicht?
Huemer: Pflanzen haben unterschiedliche Anpassungsstrategien. Manche finden ideale Bedingungen vor und können sich ganz rasant ausbreiten. Andere sind eher konservativ: Man pflanzt sie an, sie brauchen eine gewisse Pflege und es gibt ein geringes Risiko, dass sie sich in der Wildnis ausbreiten. Sie sind ja eigentlich
Schmetterlingsforscher. Gibt es davon auch Beispiele?
Huemer: Es gibt laufend neu einwandernde Arten, zum Beispiel den Karstweißling. Er hat die Klimaerwärmung genutzt und wurde jetzt im Lechtal gefunden. Das ist aber ein harmloses Tier. Andere Schmetterlinge sind weniger beliebt, zum Beispiel der Buchsbaumzünsler, den wir in der Ausstellung zeigen. Er ist wahrscheinlich mit Pflanzenproben aus Ostasien zu uns gekommen und verbreitet sich jetzt rasant als Schädling in den Gärten.
Machen wir mit Autobahnund Flugrouten den Arten den Weg frei, einzuwandern?
Huemer: Genau. Wichtig ist aber: Vor dem Menschen sind auch schon immer Arten eingewandert. Vor 20.000 Jahren, in der letzten Kaltzeit, hat es in Tirol fast überhaupt keine Organismen gegeben – außer vielleicht ein paar Flechten im Hochgebirge, an Felsen, die nicht vergletschert waren. Fast alle Pflanzen und Tiere, die wir heute kennen, sind zugewandert. Dann folgte permanent ein Wechsel, es gab klimatische Schwankungen, die Ein- und Abwanderung beförderten. Manche Arten sind auch wieder ausgestorben.
Der Wandel der Natur ist also sogar wichtig?
Huemer: Solange wir als Menschen nicht für Aussterbeprozesse verantwortlich sind, ja. Zurzeit rotten wir Tiere und Pflanzen aus. Da frage ich mich schon: Haben wir das Recht dazu? Beim Coronavirus haben wir mit den Folgen zu kämpfen. Man geht ja davon aus, dass das Virus erst durch die Zurückdrängung der natürlichen Biodiversität die Chance bekommen hat, sich zu verbreiten.
Es gibt ja nicht nur eingewanderte, sondern auch aussterbende Arten. Wie ist das zum Beispiel beim Steinbock?
Huemer: Der Steinbock wurde aktiv und viel zu intensiv gejagt. In den Alpen gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur mehr rund 100 Tiere, er stand kurz vor der Ausrottung und die Art wurde unter Schutz gestellt. Die Tiere befanden sich alle im Gran Paradiso Nationalpark in Norditalien. Der italienische König hat die Todesstrafe für alle, die hinter dem Steinbock her waren, erlassen. Das hat die Art letztendlich gerettet. Alle Tiere, die wir jetzt bei uns bewundern können, stammen von den 100 übriggebliebenen.
Beim Thema Aussterben kommen mir unweigerlich Dinosaurier in den Sinn. Kommen diese auch in der Ausstellung vor?
Huemer: Die Dinosaurier sind wahrscheinlich vor 66 Millionen Jahren durch einen Meteoriteneinschlag in der Nähe von Mexiko, der das Klima dramatisch verändert hat, ausgestorben. In der Ausstellung gehen wir sogar noch weiter zurück, unser ältestes Objekt ist ein 190 Millionen Jahre alter Ammonit aus Tirol, ein schneckenförmiges Meerestier.
Und, meine abschließende Frage, was können wir nun selbst für die Artenvielfalt tun?
Huemer: Wir müssen unsere wirtschaftliche und konsumorientierte Lebensweise überdenken. Große Umweltzerstörungen finden statt, weil wir uns global orientieren, aber nicht wissen, was dort passiert. Man kauft zum Beispiel Sojaprodukte und fördert damit die Abholzung des Regenwaldes in Brasilien. Also: lokal agieren, regionale Produkte kaufen und im eigenen Garten einheimische Pflanzen statt nordamerikanischen Thujen setzen.

Das Gespräch ist ein Auszug aus der 10. Folge des Museumspodcasts.
Naturwissenschaftliche Sammlung

Podcast 9: Künstlerinnengespräch mit Ursula Beiler
