Eine körperliche Übersetzung der Stuben
Tanz und Philosophie mit „Seesaw Project“ im Volkskunstmuseum
In den Stuben des Tiroler Volkskunstmuseums treffen wir am Samstag 15. April 2023 Veronica Boniotti und Giuseppe Claudio Insalaco. Sie sind Mitgründer*innen des Projekts „Seesaw“, das ein breites Spektrum an Kulturveranstaltungen, wie Tanzproduktionen und Performances aber auch Workshops, Talks und das „Pan Festival. Philosophy and Arts in Nature“ in Riva del Garda, organisiert.
An der Schwelle
Im Rahmen von mehreren kurzen Residencies erarbeiten „Seesaw“ seit 2022 das Tanzstück „An der Schwelle. Die Grenzen des Körpers und der Welt.“ Eine erste Fassung der Produktion wurde bereits an mehreren Orten präsentiert. 2023 holt sich das Kollektiv neue Eindrücke an neuen Standorten, auch Museen, und baut sie in die bestehende Produktion ein, die deswegen in ständiger Veränderung ist.
Bei „An der Schwelle“ geht es um Grenzen, um körperliche, sprachliche, politische, kulturelle Grenzen, welche die Tanzgruppe seit Jahren beschäftigen. Die künstlerischen und wissenschaftlichen Aktivitäten der Mitglieder von „Seesaw“ ziehen sich durch Gebiete der Philosophie, der Psychologie, der Kognitionswissenschaft oder der Kulturgeschichte. In Zusammenarbeit mit dem Tänzer und Autor Juri Roverato ist auch DanceAbility eine wichtige Bereicherung für ihre Vision geworden, die auf der Erforschung von unterschiedlichen Wegen der Kommunikation und der zwischenmenschlichen Beziehungen basiert.
Philosophie und Tanz
Veronica Boniotti erzählt: „Seesaw entstand aus dem Bedürfnis, die akademische Welt der Philosophie und die des Tanzes zu verbinden. Die Arbeiten von Philosoph*innen wie Husserl, Merleau-Ponty oder de Beauvoir haben mein Leben verändert. Ihre Ideen bleiben meist im akademischen Bereich und werden von der Wissenschaft nicht nach außen getragen. Die Konsequenz ist heute die Autoreferenzialität der Diskurse, die auf der Ebene der Abstraktion bleibt. Auch die Kunst ist zu selbstreferentiell. Wir erleben aber, dass ein riesiges Potenzial dabei versäumt wird. Wir versuchen deswegen mit dem Körper eine kommunikative künstlerische Sprache zu entwickeln, die den Menschen näher kommen kann. Wir untersuchten dabei auch, wie Menschen wirklich miteinander kommunizieren, nämlich mit Wegen, die viel mehr als die verbale Sprache sind.“
Giuseppe Claudio Insalaco ergänzt: „Man könnte unser Arbeitsprozess auch so beschreiben, wie einen Dialog mit den vielen Autor*innen und Künstler*innen, die uns inspirieren und zum Teil nicht mehr da sind, einen Dialog, der mit den Menschen, die wir heute treffen, fortgesetzt wird, zum Beispiel an den verschiedenen Residency-Orten für die Vorbereitung der aktuellen Produktion.“
Kunstlabor
Ihre Tage in Innsbruck gestalten „Seesaw“ als offenes Kunstlabor. Öffentliche Proben von neuen Tanzschritten für das Tanzstück im Austausch mit den einmaligen Stuben des Volkskunstmuseums und im Dialog mit den Besucher*innen. Boniotti und Insalaco suchen mit ihnen das Gespräch, fragen sie nach ihren Erinnerungen in Verbindung mit einer Stube oder nach ihren Eindrücken, falls sie das erste Mal in einer Stube sind. Und während die Leute mit ihnen sprechen, hören sie genau zu, vor allem aber beobachten sie, was ihre Körper miterzählen. Eine besondere Handgestik oder Körperhaltung, Kopfbewegung und Mimik offenbaren Schwellen des Körpers zum Raum. Tänzer und Tänzerin erfassen diese Eindrücke und auch die Kubatur der Räume und die Raumabfolge in einer Tanzpartitur, die in das Tanzstück „An der Schwelle“ mit einer eigens komponierten Musik integriert werden. „Wir würden gerne auch versuchen, die besondere Atmosphäre aus Licht und Holz zu übersetzen“, erwähnt Insalaco.
In der Diskrepanz zwischen der gewohnten Wahrnehmung der Stuben und ihrer besonderen künstlerischen Übersetzung, entsteht etwas, was viele Grenzen unserer Rezeption der Räume sichtbar macht und in Frage stellen wird.