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8.7.2021
6 min
Elisabeth Probst, MA

Gelitin – „Es geht nicht um Gefallen.“

Ab Juli 2021 halten die berühmt-berüchtigten Gelitin Einzug im Ferdinandeum.

Seit beinahe drei Jahrzehnten wühlen sie die internationale Kunstszene auf – als „Organismus“, nicht als Individuen, wie sie selbst betonen. Gelatins Skulpturen und Inszenierungen sorgen gleichermaßen für Jubel und Empörung. Was sie antreibt, warum ihre Arbeit nicht provozieren soll, es aber trotzdem tut und was richtig gute Kunst ausmacht, erklären sie im Interview.

Ihr arbeitet seit mehr als 20 Jahren zusammen. Wie seid ihr zur Kunst gekommen?

Gelitin: Das war in den Neunzigern. Wir waren eine große Gruppe und wir sind die Übriggebliebenen.
gelatin: Die anderen haben andere Berufe ergriffen, sind Ärzte geworden, Architekten.
Gelatin: Wir waren schwer vermittelbar. Haben keine Jobs gefunden und blieben auf uns selbst gestellt. Wir haben dann so viel zu tun gehabt.
gelitin: Und warum sollte man plötzlich etwas anderes machen, wenn man das schon immer gemacht hat?
gelatin: Wenn man nicht in ein Schema gepresst wird, das Glück hat, es sich nicht erkämpfen zu müssen, dann entwickelt man die Dinge, die einem am Herzen liegen.

Wie habt ihr und eure Kunst euch über die Jahre entwickelt?

Gelitin: Was sich verändert hat, sind die Materialien, mit denen wir arbeiten. Ton ist jetzt zum Beispiel dazugekommen. Wir haben genug Platz, um einen Brennofen aufzustellen, und wir können uns einen Brennofen leisten. Das hätten wir am Anfang nicht gekonnt. Es ändern sich die Möglichkeiten und durch die veränderte Situation ändert sich die Arbeit.
gelatin: Man versucht generell immer, sich zu überraschen und sich zu verändern. Eigentlich ist die ganze Arbeit, dass man etwas findet, das überrascht.

Wie kann man sich die Entstehung eurer Werke vorstellen?

Gelatin: Für Ausstellungen funktioniert es am besten, wenn wir alle gemeinsam sind. Und dann wird geredet, stundenlang, wochenlang. Irgendwann sagt jemand etwas, was der Nächste falsch versteht, und der Dritte sagt, das fände er gut.
gelitin: Das Falschverstehen ist ganz wichtig.
Gelatin: Man hört aufmerksam zu. Und dann stolpert man über Sachen, die man nimmt und dann entwickelt man die weiter. Wenn es gut ist, kommt was raus. Oder man schmeißt es weg und fängt wieder von vorne an. Und das geht kontinuierlich so.
Gelatin: Man entwickelt sich und das ist die Arbeit. Aber nicht entwickeln im Sinn von besser, höher, stärker, sondern von einfach aktiv zu bleiben. Wir machen gerne Dinge. Wir probieren gerne Dinge aus. Manche nennen es spielerisch, wir nennen es Kunst. Die Arbeit, unser Material, sind ja auch wir vier.
Gelitin: Die Kunst ist ein großartiger Bereich. Man kann machen, was man will, man muss nur behaupten, dass das Kunst ist. Das ist das Wichtigste. Und dann muss es einem auch jemand glauben. Das ist, glaub ich, das Schwierigste.
gelatin: Man kann seine eigene Argumentationslogik erfinden. Man kann allerdings überhaupt nicht bestimmen, wie ein Betrachter etwas sieht. Der Betrachter, wenn er durch eine Ausstellung geht, macht ja viel mehr Arbeit als wir im Endeffekt. Das ist der kreative Akt.

Wenn Kunst nicht irgendeine Diskussion erzeugt, dann trifft man nichts.“

Gelitin

 

Eure Werke polarisieren. Was entgegnet ihr jemandem, dem eure Kunst nicht gefällt?

Gelitin: Es geht ja nicht um Gefallen. Uns gefallen unsere Sachen auch manchmal nicht. Es geht um eine intellektuelle Beschäftigung.
Gelatin: Ob es relevant ist.
gelatin: Wir versuchen in jeder Ausstellung etwas zu machen, an das man sich am nächsten Tag zuhause noch erinnern kann.
Gelitin: Dinge, bei denen man beim ersten Mal sagt „wow“, sind für drei Sekunden gut, aber dann hat man sie gesehen, dann ist es nicht mehr gut. Das Umgekehrte ist viel besser. Im ersten Moment denkt man: Was ist denn das für ein Scheiß? Beim zweiten Mal: Hm, gar nicht so schlecht. Und dann wird es aber immer besser, weil das Bild so stark ist, weil etwas hängen bleibt.

Wie geht ihr mit Kritik um?

Gelitin: Kunst ist ein Dialog. Wenn Kunst nicht irgendeine Diskussion erzeugt, dann trifft man nichts. Dann sieht man nur noch das, was eh da ist. Und das ist ja ok. Aber es ist nun mal nicht unsere Aufgabe, das zu bestätigen.
gelitin: Ich bin mal einem berühmten Kurator vorgestellt worden. Dem hat so gegraust, als er gehört hat, dass ich von Gelatin bin, dass er beim Händeschütteln seine Hand zurückgezogen hat. Ich dachte mir: Wow, wenn einen das so beeinflusst, dann hat das einen Effekt. Da dachte ich mir: Super.
gelatin: Vor ein paar Jahren, als wir in Salzburg eine Skulptur hatten, den „Arc de Triomphe“, da gab es eine Karikatur von Manfred Deix in den Zeitungen dazu, wie die nächste Skulptur von uns ausschauen könnte: ein Mann, der sich nach unten beugt und sich in den Mund kackt. Das haben wir dann nachgebaut. Mit Kritik entsteht auch wieder etwas.
Gelitin: Oft verstehen die Leute, die scharfe Kritik üben, die Ausstellung viel besser. Wenn man begriffen hat, worum es geht, kann man das aus dem gleichen Grund ablehnen, aus dem es andere gut finden.

„Wenn ein Werk nicht mehr komplexer wird, verliert man das Interesse daran.“

Gelitin

Wollt ihr provozieren?

Gelitin: Nein, um Provokation geht es nicht. Aber wenn man Bilder erzeugt, die eine Diskussion auslösen, geht es nicht ohne, dass sich manche Leute provoziert fühlen. Wenn überall nur die gängigen Standardbilder hängen, dann langweile ich mich. Wir erzeugen die Bilder, die wir gerne sehen wollen, die uns fehlen. Vielleicht fehlen sie auch anderen Leuten. Wenn sie andere machen würde, müssten wir sie nicht machen. Was provoziert, ist eher, dass wir bestimmte Autoritäten nicht akzeptieren. Das Beste ist immer zu fragen: Was sagen denn eigentlich Kinder dazu? Kinder haben überhaupt kein Problem damit. Wir wissen schon, dass in unserer Arbeit eine gewisse Provokation enthalten ist, aber darum geht es uns nicht.

Was macht gute Kunst aus?

gelatin: Da geht es wieder um den Dialog. Kunst ist dann gut und spannend, wenn man davorsteht und am nächsten Tag noch darüber nachdenkt.
Gelitin: Man schaut sich Kunst an und ist völlig ratlos. Aber immer wenn man eine Ausstellung sieht, kommt dieses Bild zurück, das einen völlig irritiert hat. Alles, was man sieht, setzt man in Relation dazu. Und dann wird es wirklich wichtig.
gelitin: Wenn sich etwas überträgt.
Gelitin: Es ist gut, wenn es mehrere Ebenen hat. Das versuchen wir auch in unserer Kunst, damit sie einen direkten Zugang hat. Wenn ein Werk nicht mehr komplexer wird, verliert man das Interesse daran. Aber wenn es an Komplexität gewinnt, je länger man darüber nachdenkt, dann ist es gut. Dann entwickelt es seine Kraft. Dann denkt man sich: Mein Leben hat sich wirklich verändert, nur weil ich dieses eine Bild gesehen hab.

Von 1. Juli bis 26. Oktober 2021 sind Gelatin im Ferdinandeum zu Gast. 

Im Vorfeld lädt die Ausstellung von 24. bis 26. Juni 2021 zu einem abwechslungsreichen Eröffnungsprogramm.

 

Autorin

Elisabeth Probst, MA

 
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