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28.10.2023
7 min
Elisabeth Probst, MA

Erinnerungen wachhalten

Ein Interview mit Arno Gisinger über das Projekt „Memories of Memories“, Erinnerungsarbeit und Fotografie.

Erinnerungsorte sind heute gewissermaßen das Spezialgebiet des Fotografen Arno Gisinger. Einst angefangen hat alles mit dem Gedenkort Oradour-sur-Glane in Frankreich. Aber auch den fast vergessenen Namensvetter des Ortes, das Lager Oradour in Schwaz, hat er fotografiert – bereits vor 25 Jahren und nun erneut.

Herr Gisinger, im Rahmen des Projekts „Memories of Memories“ werden Ihre Fotos von Oradour in Frankreich und Schwaz gezeigt. Wie sind Sie auf die Orte aufmerksam geworden?

Arno Gisinger: Die erste Arbeit in der Chronologie ist die Arbeit über Oradour-sur-Glane in Frankreich, also über diesen Erinnerungsort, den ich schon in meinen Studienzeiten in Arles entdeckt habe und der mich, wie viele andere Menschen, erschreckt, fasziniert, zum Nachdenken gebracht hat. Es ist ein Ort, der auf der paradoxen Idee basiert, dass man Zeit anhalten könnte, indem man Dinge konserviert. Ich habe mich sehr intensiv mit diesem Ort auseinandergesetzt, fotografisch, aber auch inhaltlich. 1994/1995 bin ich dann nach Tirol zurückgekommen. Bei einem Gespräch mit Anton Hütter bei einer Vernissage in Schwaz habe ich erzählt, dass ich eine Arbeit über Oradour gemacht hätte. Darauf sagte Anton Hütter: Oradour, das ist ja ein Ortsteil von Schwaz. So ist schließlich die zweite Arbeit entstanden, 1995 im Kontext der Klangspuren.

Das Projekt „Memories of Memories“ beschäftigt sich nun erneut mit dem Lager Oradour in Schwaz. Wie kam es dazu?


Wir haben uns gefragt, was eigentlich übrig geblieben ist von dem, was wir damals gemacht haben? Zuerst schien die Antwort klar: Alles ist wieder verschüttet worden und die Arbeit war umsonst. In der Recherche sind wir dann aber darauf gekommen, dass es doch Dinge gab, die passiert sind, von politischer Seite, von historischer Seite. Und so ist dann die Idee entstanden, uns diese reflektierte Erinnerung noch einmal genauer anzuschauen. Es ging uns darum, nicht einfach zu sagen Erinnern oder Vergessen? Wir wollten versuchen, dieses alte Schema ein bisschen komplexer zu behandeln.


Wie ist Ihnen das gelungen?


Zum einen durch sensible Herangehensweisen mit Video, Fotografie, künstlerischen Arbeiten, aber natürlich auch durch Recherche und historische Aufarbeitung. Christine Ljubanovics Arbeit ist ganz klar in den Aspekt der persönlichen Erinnerung zu stellen. Andererseits gibt es die historischen Forschungen von Horst Schreiber, um das Faktische zu zeigen. Das ist vielleicht der größte Erfolg, wenn ich so sagen darf, dass wir es geschafft haben, nicht einfach ein Kunstprojekt, nicht einfach ein Geschichtsprojekt oder nicht einfach ein politisches Projekt daraus zu machen, sondern etwas, wo von den Zeitzeugen bis zur Publikation, von den Ausstellungen bis zur Arbeit mit Schulen das gesamte Programm multiperspektivisch auf das Phänomen Erinnerung schaut.

Im vergangenen Jahr haben Sie das Lager Oradour ein zweites Mal fotografiert. Wie haben Sie den Ort im Vergleich zu früher wahrgenommen?


Das war sehr, sehr spannend. Ich war überrascht über die Leerstelle, eben auch im Gegensatz zu Oradour-sur-Glane, wo die Geschichte fast überall präsent ist. Jede Ecke zeigt uns dort irgendwas vom Drama dieser Menschen, die ermordet worden sind. In Schwaz kommt man an eine totale Leerstelle, wo eigentlich gar nichts mehr da ist. Als Fotograf stellt man sich dann die Frage, wie geht man mit dieser Leerstelle um.


Wie sind Sie also an die Arbeit herangegangen?


Es gibt so ein kleines Wäldchen, eine Art Damm mit Bäumen, nicht besonders gepflegt oder bearbeitet, sondern einfach ein Sicht- oder Windschutz. Aber es gibt auch ein Dahinter. Nachdem Christine Ljubanovic mit der Frage der Wire Mesh gearbeitet hat, also mit dem Blick, der eigentlich verstellt ist, und dem optischen Hindernis zwischen Auge und der Realität dahinter, habe ich gedacht, ich verwende diese Metapher in meiner fotografischen Arbeit. Ich habe also denselben alten analogen Fotoapparat von vor 25 Jahren noch mal ausgepackt und habe mit Rollfilm gearbeitet. Ich habe eine Sequenz gemacht, ganz protokollarisch immer nach 50 Schritten ein Bild, durch dieses Waldstück hindurch und mit der Fokussierung auf den leeren Platz. Die optische Schärfe liegt auf dem leeren Platz und nicht im Vordergrund. Dadurch entsteht diese eigentümliche Ästhetik. Eine gewisse Abstraktion war mir wichtig.


Was macht die Fotos eines Ortes, an dem nichts ist, auch für die Betrachter*innen interessant?


Es geht darum, nicht die Antwort zu geben, nicht zu sagen: schau, so war’s, das ist die Wahrheit, wie es der Historiker oder die Historikerin sagen würde, sondern die Frage an die Betrachterinnen und Betrachter zurückzuspielen: Wie gehe ich selbst mit dieser Frage um? Wie gehen Sie damit um? Wie gehen wir kollektiv damit um? Und ich glaube, diese Frage stellt sich heute gerade in Bezug auf die Kriegszeit erstaunlicherweise noch einmal ganz neu. Ich möchte Bilder anbieten, die die Möglichkeit bieten, sich darauf einzulassen, genauer hinzuschauen, die Dinge zu spüren, zu sehen usw.

Selbst wenn kaum etwas da ist?


Es mag ein bisschen esoterisch klingen, aber ich glaube, dass in der physischen Begegnung mit einem Ort immer etwas passiert und dass die Gespenster der Vergangenheit da sind, auch wenn physisch nichts mehr da ist. Letztendlich erfüllt sich die Arbeit erst, wenn sie in diesen Dialog mit den Betrachtenden tritt. Die Fotografie hat diese unglaubliche Kraft, Dinge imaginieren zu lassen, ihre Anwesenheit oder Abwesenheit zu zeigen oder zu suggerieren. Das intellektuelle oder historische Wissen wiederum ist immer ein Motor und Impuls für dieses Imaginäre.


Sie haben Geschichte und Literatur in Innsbruck studiert. Prägt dieser Hintergrund Ihr Schaffen als Fotograf?


Ich habe immer etwas beibehalten von dieser ersten Ausbildung, bin bis heute skeptisch geblieben in Bezug auf die reine Ästhetik, gerade bei historischen Themen. Ich bin da sehr sensibel, sehr vorsichtig. Deshalb recherchiere ich auch, weil ich ungern Dinge fotografiere, von denen ich nicht genau weiß, wie sie entstanden sind, wer sie gemacht hat, wo sie herkommen. Ich schaue mir einen Ort an, mache ein paar Bilder, eigne mir den Ort an und dann recherchiere ich über diesen Ort. Der eigentliche Impuls zum Fotografischen entsteht dann aus der Begegnung mit dem Ort.

 

Ihre Arbeiten beschäftigen sich viel mit Erinnerungsorten. Welcher hat Sie besonders bewegt?


Es gibt immer einen guten Grund, warum ich etwas mache. Das kann die Begegnung mit Menschen, mit einem Objekt, einem Archiv oder dem Ort selbst sein. Oradour in Frankreich hat mich tatsächlich zu dieser Frage der Erinnerungsorte geführt. Ich habe dann anschließend zwei Arbeiten gemacht, in Nürnberg in Deutschland und Củ Chi in Vietnam. Die Projekte haben gezeigt, dass Erinnerungskulturen ganz stark davon geprägt sind, wo sie herkommen, wie man drauf schaut, wer sie initiiert.


Welche Wirkung erhoffen Sie sich von „Memories of Memories“?


Ich betrachte die Arbeit mit „Bildern der Geschichte“ als gesellschaftlichen Prozess, vor allem adressiert an die jüngeren Generationen. Ich stelle immer wieder fest, dass diese Jahre des Zweiten Weltkriegs einerseits sehr präsent und gleichzeitig am Verschwinden sind. Erinnerungsarbeit ist immer ein Prozess, den man wachhalten muss, sonst gehen die Dinge verloren. Man muss sich interessieren, man muss Dinge anschauen, man muss lesen, man muss aktiv werden. Es wäre schön, wenn die Menschen durch dieses Projekt aktiv werden würden.

Autor*in

Elisabeth Probst, MA

 
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