Verkaufsschlager Volksmusik
Wie die Tiroler*innen singend die Welt eroberten und ihre Heimat zur Tourismusattraktion machten, ergründet noch bis Ende November die Schau „Wir Tiroler sind lustig“ des Tiroler Volksliedarchivs.
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Volkslieder beschreiben persönliche Geschichten und Lebensumfelder, drücken Gefühle aus, sie unterhalten und rühren zu Tränen. Kurz gesagt: Sie bewegen – und das sowohl emotional als auch physisch, denn seit Jahrzehnten locken sie Menschen nach Tirol. Diesen Gedanken greift auch die neue Ausstellung im Volkskunstmuseum auf. Warum Volksmusik dabei viel mehr ist als alte überlieferte Lieder und Instrumentalstücke, verrät Sonja Ortner, Ausstellungsmacherin und Leiterin des Tiroler Volksliedarchivs.
Seit Jahrzehnten lockt der Berg- und Skitourismus Menschen aus aller Welt nach Tirol. Die neue Ausstellung „Wir Tiroler sind lustig“ widmet sich einer weiteren Attraktion, der Tiroler Volksmusik. Worum geht es?
Sonja Ortner: In der Ausstellung geht es um die Wechselwirkung zwischen Volksmusik und Tourismus. Diese Verbindung reicht in der Geschichte relativ weit zurück, wobei die Volksmusik den Tourismus mitgeprägt hat.
Wie kam es dazu?
Seit Jahrhunderten waren Tiroler Händler unterwegs. Sie haben festgestellt, dass man mit Singen Kunden anlocken kann. In der Romantik begann man zudem die unverfälschte Natur der schönen Alpenlandschaft zu schätzen. Später war die Gegend durch die „Freiheitskämpfe“ erneut in aller Munde. In den 1820er-Jahren war Tirol so bereits zur Marke geworden. Die Region war bekannt. Und diesem Trend sind auch die Sänger mit ihren Konzertreisen gefolgt.
Wer waren diese reisenden Musiker*innen? Wo waren sie unterwegs?
Das waren meist Bauersleute, die zum Teil auch Handel trieben. Die sogenannten Nationalsänger kamen aus ganz Tirol, primär aus dem Zillertal. Sie haben vor allem die Winterzeit zum Reisen genutzt und mit dem Singen Geld verdient. Und sie haben gut verdient. Viele sind durch das Singen reich geworden. Von Amerika bis Russland haben sie den Markt bedient. Tirol war ein Gütesiegel. Es gab sogar Imitatoren, die sich als Tiroler ausgegeben haben.

Gab es Personen oder Gruppen, die sich einen besonderen Namen gemacht haben, die zu den Stars von damals wurden?
Ja, einer der bekanntesten war Ludwig Rainer. Er war Sänger in zweiter Generation und führte eine relativ große Gruppe an. Die „Rainer-Sänger“ haben zehn Jahre in Russland, in St. Petersburg gelebt, waren in Moskau und haben für den Zaren gesungen. Sie haben sich dort niedergelassen, weil sie so begehrt waren.
Wie haben sie es geschafft, ihr Publikum nach Tirol zu locken?
Ludwig Rainer war extrem geschäftstüchtig. 1870 hat er ein Hotel am Achensee gebaut, den „Seehof“. Seine Absicht war es, die Leute, die er im Ausland auf Konzerten unterhalten hatte, nach Tirol und in sein Hotel zu holen. Und so kam es dann auch. Die Leute, primär Norddeutsche, sind gekommen, weil sie Rainer kannten und haben Urlaub am Achensee gemacht.
Mit welchem Programm haben die Musikgruppen Eindruck hinterlassen?
Am Anfang haben sie vor allem Lieder gesungen, die sie von daheim kannten. Um ein abendfüllendes Programm zu gestalten, wurden die Stücke mit Jodlern ausgeschmückt und das Repertoire immer mehr erweitert, um Wiener Walzer, Operettenlieder, Schuhplattler, Tanz- und Spieleinlagen. Man hat sogar eigene Komponisten engagiert. So sind auch neue Lieder für die Nationalsänger entstanden. Die Texte waren primär auf Deutsch, aber für das internationale Publikum gab es Hefte, in denen neben dem Originaltext die englische Übersetzung stand. Auch die Kleidung hat eine wichtige Rolle gespielt. Die Tiroler Tracht hat fasziniert. Mit der Zeit trugen die Gruppen jedoch zunehmend fantasievollere Kostüme. Die Rainer etwa bekamen vom englischen König George IV. ein hermelinverziertes Gewand geschenkt. In der Ausstellung gibt es ein Bild davon.
Was gibt es sonst in der Schau zu sehen – und zu hören?
Wir beleuchten das Thema anhand von Schwerpunkten: Ludwig Rainer mit Blick auf die Geschichte der Nationalsänger und der Tiroler Abend als deren Fortsetzung bis in die Gegenwart. Heimatfilme, die ja im Prinzip Werbefilme waren. Die Olympischen Spiele als sportliche Großveranstaltungen. Volksmusik und volkstümliche Musik heute, die Massen anziehen können, wenn man nur an Hansi Hinterseer denkt, und zum Abschluss lassen wir kritische Stimmen zu Wort kommen. Es gibt viele Hör- und Videostationen, neben denen aber auch Instrumente, Plakate, Auftrittstrachten und andere Objekte ausgestellt sind.
Was hat es mit dem Titel „Wir Tiroler sind lustig“ auf sich?
Der Titel ist der Anfang des Liedes „Die Tiroler sind lustig“. Dessen Text bringt das Thema der Austellung auf den Punkt. Nebenbei hat das Volkslied einen für diese Gattung häufigen Wandel durchlaufen: von einem Stück aus einem Singspiel der Mozart-Zeit hin zu einem Kinderlied, als das man es heute noch kennt.
Gibt es ein Geheimrezept für ein erfolgreiches Volkslied?
Das habe ich mich schon öfter gefragt. Interessant ist, dass der Schwierigkeitsgrad scheinbar keine Rolle spielt. Es geht beim Volkslied nicht darum, etwas perfekt zu singen. Ein wichtiger Faktor ist, glaube ich, die Identifikation. Die schönsten Erlebnisse sind für mich immer jene, in denen die Leute mit Leidenschaft singen. Es geht darum, dass man sein Inneres im Lied ausdrücken kann.
Wir Tiroler sind lustig
