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3.9.2020
5 min
Mag.a. Clara Maier

„Wenn Kunst nicht unter die Haut geht, ist es keine Kunst“

Anton Christian macht keine Kunst, um zu gefallen. Er berührt, irritiert, lockt Gedanken und Gefühle aus der Reserve – und vor allem erzählt er Geschichten.

Er beschäftigt sich mit jenen Themen, vor denen sich andere scheuen: Politische und soziale Kritik, Angst und Einsamkeit, Krankheit, Tod und Wahnsinn. Zu seinem 80. Geburtstag präsentiert Anton Christian eine dreiteilige Ausstellung in Innsbruck, Schwaz und Telfs. Wir haben ihn in seinem Atelier in Natters getroffen.

Wie entsteht Ihre Kunst?

Anton Christian: Anfänglich war ich natürlich diversen Einflüssen ausgesetzt: dem der Lehrer, der Künstler, der Kunstgeschichte. Später, nach beinahe naturwissenschaftlichen Experimenten – ich habe Versuche dazu gemacht, wie Materialien altern und verrotten – wurden Literatur wie auch aktuelles Geschehen immer wichtiger. So entstanden unter anderem mein Werk zum Vietnamkrieg, das „Taufkleid für ein Kind in einem kriegführenden Land“, und eine Werkgruppe, die zu den Geschehnissen im ehemaligen Jugoslawien Stellung nimmt. Die Arbeiten „Zeugen“, „Ort der Erinnerung“ und „Aufnahme gefunden“ aus diesem Zyklus werden im Volkskunstmuseum zu sehen sein.

Sie haben sich in einem Interview als „Geschichtenerzähler“ bezeichnet. Welche Geschichten erzählen Sie mit Ihrer Kunst?

Christian: Das Bild neben mir (siehe rechts) heißt zum Beispiel „Die Zwergin“. Sie reitet auf einem Hund, dadurch wird ihre Größe thematisiert. Sie gehört zu denen, die im Dritten Reich verfolgt, verjagt, umgebracht wurden. In einer zweiten Fassung schrieb ich: „den Namen verloren, die Sprache verloren, vergessen“. Eine Geschichte also, wie viele andere.

Zwergin, 1984, Mischtechnik
© Anton Christian, Foto: Martin Vandory, Innsbruck
Zwergin, 1984, Mischtechnik

Welche Themen beschäftigen Sie zurzeit?

Christian: Angeregt durch die romanischen Fresken im französischen Saint Savin sind mir wieder alttestamentarische Inhalte in den Sinn gekommen. Auch damals waren Flucht und Vertreibung, Verfolgung und Tod – im roten Meer – die Themen. Damit hab’ ich mich durch den letzten Winter gearbeitet. Es entstanden große Bilder mit collagierten und wieder übermalten Fotos.

In allerletzter Zeit modellierte ich diverse Köpfe, darunter einen Doppelkopf, angelehnt an mein Selbstporträt „Nie mehr allein“ von 1999. Dieses hatte ich nach einer gröberen Erkrankung sozusagen als Antidepressivum auf Papier gemalt.

Und sozialpolitisch?

Christian: Nun, letztlich ist alles, was ein Künstler aus seinem erlebten Alltag erzählt, politisch oder eben sozialpolitisch. Mich hat die erste große Flüchtlingskatastrophe zutiefst erschüttert, damals, als 340 Leute vor Lampedusa ertranken. Im Winter 2014 ließ ich ein mediterranes Fischerboot am Innsbrucker Dom zerschellen – als Metapher für den christlichen Felsen Europa. Im Innenraum des Doms fiel im Drei-Sekunden-Rhythmus ein Wassertropfen von der Decke in ein Blechfass. Der Klang des Aufschlagens wurde hinaus auf den Domplatz übertragen. Steter Tropfen höhlt den Stein.

Ist es wichtig, die Kunst und die Geschichten, die sie erzählt, immer „nach außen“ zu tragen?

Christian: Die Idee, meine Kunst allein für mich zu machen, kam mir noch nie. Lassen Sie mich aus meiner Autobiografie in Pfaundlers „Fenster“ zitieren: Ich möchte, dass meine Arbeiten so suggestiv sind, dass sich die Leute lange daran erinnern müssen, wie an einen besonders schönen oder bösen Traum. Wenn Kunst nicht unter die Haut geht, nicht berührt, dann ist’s wohl keine Kunst.

Das darf dann auch wehtun?

Christian: Ja!

Im Volkskunstmuseum werden Ihre Werke mit Kunsthandwerk in Kontakt treten. Welcher Dialog wird da entstehen?

Christian: Freilich gibt es auch in meiner Arbeit Berührungspunkte zur Volkskunst. In eine neuere Tafel montierte ich zum Beispiel alte Votivbildchen. Mein frühes Objekt „Von Weihnachten bis Ostern“ symbolisiert Geburt und Tod. Die Skulptur „I never was a sheep“ besteht aus einer Grabplatte, darauf ein Schafschädel mit schönen, hohen Metallhörnern, den eigenen Kopfschmuck aber unter einer samtenen Maske verbergend. Das müsste wohl nicht schlecht in eine Ausstellung zu Tracht und Eitelkeit passen. Aber grundsätzlich: Wenngleich ich vor 22 Jahren versuchte, das Volkskunstmuseum mit 25 zeitgenössischen Künstlern ins Gespräch zu bringen – ein mit Kunst, Kunsthandwerk, allerlei Werkzeug angefülltes Haus mit einer großen Ausstellung zu unterwandern, ist außerordentlich schwierig, ein hoffentlich gut endendes Abenteuer.

Als junger Mann lebten Sie in Paris, London, New York. Wie war es, von der Metropole nach Tirol zurückzukehren?

Christian: Natürlich gab es Überlegungen, in London zu bleiben. Überlegungen, ob unser erstes Kind in England zur Welt kommen soll oder in Österreich. Doch dann wurde meine Mutter schwer krank und damit war es für mich selbstverständlich, wieder in Innsbruck zu sein. London zu verlassen, war schwer, wir hatten dort eine wunderbare und erfolgreiche Zeit erlebt, in keiner anderen großen Stadt hatte ich mich je so wohl gefühlt. Einige Jahre später konnten wir ein Haus in Natters erwerben und letztlich bedauern wir keineswegs, auf’s Land gezogen zu sein. Es ist eine völlig andere Art von Lebensqualität, die vor allem unseren Kindern zugutekam.

 

HABEN SIE IN DER GROSSSTADT ANDERE WERKE GEMACHT ALS HIER AM WALDRAND

Christian: Nein, meine Grundthematik war immer dieselbe. Nur die Ausdrucks-, die Gestaltungsweise ändert sich des Öfteren in einem langen Leben. In der Großstadt ist man halt den Medien, den Kunstvermittlern, den Vermarktern und vor allem den vielen Künstlerkollegen näher. Diese Nähe und die daraus resultierenden, nächtelangen Diskussionen hab’ ich lange vermisst. Aber jetzt telefoniere ich eben mehr.

Autorin

Mag.a. Clara Maier

hat Anton Christian in Natters besucht und wurde dort durch sein Atelier geführt.
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