Logo Tiroler Landesmuseen
MenüSchliessen
  • Merkliste
  • Icon Language
  • Icon Search
20.10.2022
4 min
Dr. Ralf Bormann

Die Kunst der Kunst

In den Grafik-Kabinetten der Niederländer spürt die Präsentation „Die Kunst der Kunst“ der Epoche des Manierismus nach.

Die in der Schau gezeigten Grafiken stammen zu einem Großteil aus einer Schenkung von Johann Wieser und stehen stellvertretend für eine Epoche, in der die individuelle Wirkung eines Werks erstmals mehr zählt als die Darstellung selbst.

Die Geburtsstunde des modernen Manierismus-Begriffes als eine Epochenbezeichnung der europäischen Kunstgeschichte schlug am 28. Oktober 1920 im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie in Wien (dem heutigen MAK), als Max Dvořák einen Vortrag „Über Greco und den Manierismus“ hielt. Dvořák deutet den von klassischen Prinzipien und objektiven Schönheitsnormen befreiten, allein der subjektiven Fantasie folgenden manieristischen Stil emphatisch als Ausdruck einer um 1560 einsetzenden „geistigen Wiedergeburt“. Der Manierismus folge als „Flucht in ein autoreferenzielles ästhetisches Spiel“ (Hans Aurenhammer) auf eine Krise, in der Dvořák ein fernes Spiegelbild der Umbruchzeit nach dem Ersten Weltkrieg sieht: ,,ein scheinbares Chaos, wie uns unsere Zeit als Chaos erscheint“. Seinen Vortrag beschloss Dvořák mit der Prophezeiung, dass sich „in dem ewigen Ringen zwischen Materie und Geist […] die Waage zum Siege des Geistes“ bereits neige. Der Manierismus galt ihm als Vorbote eines „neuen, geistigen, antimaterialistischen Weltalters“. Oskar Kokoschka, der an diesem Abend unter Dvořáks Hörern saß, erkannte zweifellos die Wahlverwandtschaft zwischen der antinaturalistischen Ausdruckskunst des Manierismus etwa des von ihm verehrten El Greco, und dem zeitgenössischen, nicht zuletzt von ihm selbst vertretenen Expressionismus.

Die klassizistisch ausgerichtete Kunstliteratur des 17. Jahrhunderts indessen gab ein sehr ungünstiges Urteil über diese Epoche ab; so sieht 1672 Giovanni Pietro Bellori das Kunstgeschehen nach dem Tode Raffaels 1520 bis zum Ende des 16. Jahrhunderts als Niedergangsphänomen unter der verhängnisvollen Herrschaft der „maniera“: ,,Die Künstler gaben das Studium der Natur auf und verdarben die Kunst durch die Manier, das heißt eine fantastische, nicht auf die Nachahmung, sondern auf die künstlerische Übung [„pratica“] gestützte Idee.“ Berüchtigt sind die abfälligen Passagen, die Giorgio Vasari, der „Vater der Kunstgeschichte“, in seinen Künstlerviten von 1568 über Pontormo, neben Rosso Fiorentino frühester Protagonist des Florentiner Manierismus, niedergeschrieben hat. Ihr Zeitgenosse, Girolamo Francesco Maria Mazzola, genannt Parmigianino, von dem wir hier ein Werk zeigen, gilt als Hauptvertreter des aufkeimenden Manierismus in Oberitalien.

Die Renaissance in Italien verachtete die gotische Kunst als degeneriert und barbarisch. Sie antwortete auf diese an der Wiederentdeckung des antiken Formenschatzes gebildete Wahrnehmung mit einer Mathematisierung ihres Kunstausstoßes. Der italienische Manierismus wiederum reagierte darauf mit einer Pendelbewegung zu einer freieren, verspielteren, „antiklassischen“ (Walter Friedlaender) Anwendung der Kunstregeln. Recht bald treten gar die künstlerischen Mittel, der Stil, die Handschrift des Künstlers (ital. „maniera“) vor das Motiv und dominieren das Werk. In den Niederlanden, wo der „Geist der Gotik“ auch durch die Renaissance nie ganz beseitigt wurde, wurde der Manierismus mit einiger Verspätung rezipiert und erlebte im 17. Jahrhundert seine Blüte. Wir zeigen eine Auswahl der uns meist aus dem Legat von Johann Wieser zugefallenen Druckgrafiken dieser Epoche, in deren verspielten, extremen Überformungen uns der „stylish style“ (John Shearman), die „Kunst der Kunst“ (Robert Klein) in einer Deutlichkeit vor Augen steht, die uns daran erinnert, dass zu der Zeit, als zu Beginn des 20. Jahrhundert die Abstraktion in der Kunst erscheint, auch der Manierismus als historischer Stil wiederentdeckt und geschätzt wurde, als eine „äußerst selbstbewusste und um ihrer selbst willen geschaffene Kunst der Verstellung, die mit kühlem Narzissmus mehr auf Stil als auf Substanz setzt“ (John Shearman).

Autor*in

Dr. Ralf Bormann

 
Ralf Bormann, Leiter der Grafischen Sammlung
Häuserübersicht

Einwilligung

Durch das „Akzeptieren“ willige ich ausdrücklich in die Drittlandübermittlung meiner technischen Informationen (insb. IP-Adresse) ein, damit der Inhalt dargestellt werden kann. Ich nehme zur Kenntnis, dass in den USA kein ausreichendes Datenschutzniveau vorliegt und das Risiko besteht, dass unter anderem US-Behörden auf meine Daten zugreifen könnten und dagegen kein ausreichender Rechtschutz besteht. Nähere Informationen und die Möglichkeit zum Widerruf meiner Einwilligung finde ich in der Datenschutzerklärung.